„… und die Rangordnung klären. Und als Mensch sollte man sich da unbedingt raushalten!“
Dies sind Ratschläge, auf die man häufig stößt, wenn man als unbedarfte und akut gestresste Katzenhalterin auf der Suche nach Hilfe für die streitenden Katzen ist. Die gute Nachricht: Diese Tipps sind leicht zu finden und werden einem meist nachdrücklich eingebläut. Die schlechte Nachricht: Es handelt sich – ausgehend von modernem Trainingswissen – um denkbar schlechte Ratschläge, deren Berücksichtigung leider schwerwiegende Folgen haben.
Es tut mir leid, wenn sich mit dieser Eröffnung einige von euch auf den Schlips getreten fühlen. Ich baue darauf, dass ihr euren Schlips gerne opfert, wenn dies zum Wohl vieler Katzen beitragen kann.
Die folgenden Hinweise und Erklärungen sind für alle Konstellationen gültig, in denen Katzen miteinander in einem Haushalt leben und andauernder oder wiederholter Unfrieden zwischen ihnen herrscht. Dieser Unfrieden kann direkt im Zuge einer Zusammenführung oder aus ganz unterschiedlichen Ursachen heraus im späteren Zusammenleben auftreten.
Und diese Hinweise sind dann gültig, wenn wir als Menschen den Wunsch haben, dass die Katzen anspannungs- und angstfrei, zufrieden und vertrauensvoll miteinander leben. Denn dafür können wir maßgeblich den Boden bereiten, indem wir schlechte Erfahrungen zwischen den Katzen bestmöglich verhindern und auffangen. Weshalb ist das so wichtig?
Guter Grund: Katzen lernen jederzeit
Wie alle Lebewesen lernen auch Katzen maßgeblich aus ihren Erfahrungen. Was eine Katze mit einem Artgenossen erlebt, beeinflusst die künftige Beziehung zwischen den beiden. Je emotional aufgeladener eine Streitsituation ist bzw. je häufiger es zu Auseinandersetzungen kommt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Katzen zu einer freundschaftlichen Beziehung (zurück-)finden können. Dies gilt insbesondere dann, wenn es im Zuge einer Auseinandersetzung zu schmerzhaften Verletzungen kommt, seien es Bisswunden, Augenverletzungen oder auch Zerrungen/Brüche, zu denen es bei der Flucht oder im Kampf kommen kann.
Sollten Katzen nach längerem freundschaftlichem Zusammenleben plötzlich in heftigen Streit geraten, so können ihre zahlreichen früheren gemeinsamen Erfahrungen mit etwas Glück ein hilfreiches Gegengewicht zu den aktuellen Erlebnissen darstellen. Dann kann es leichter sein, ihnen wieder zu einem vertrauensvollen Verhältnis zu verhelfen.
Anders sieht das aus, wenn die Bedrohungen, aggressiven Auseinandersetzungen und Ängste in einer langjährigen neutralen oder dauerhaft angespannten Beziehung oder im Rahmen einer Vergesellschaftung auftreten. Wenn es nie Sympathie zwischen zwei Katzen gab, wird sie sicherlich nicht während eines Streits plötzlich aufflammen.
Um ganz deutlich zu werden, möchte ich hier einen menschlichen Vergleich ziehen. Bitte stelle dir mal die folgenden Szenarien vor:
- Du gerätst mit deinem Partner, mit dem du seit langer Zeit sehr glücklich zusammen bist, plötzlich erstmalig in einen Streit, bei dem du dich massiv verletzt/verraten fühlst. Vielleicht wirst du sogar geschubst oder fühlst dich körperlich bedroht.
- Nun ein Streit mit gleicher Gefühlsintensität mit einem Partner, zu dem die Beziehung seit Jahren stark abgekühlt ist und eher noch einer Zweckgemeinschaft gleicht.
- Beim ersten Date mit einem potenziellen Partner fühlst du dich bedroht, bedrängt oder es kommt zu einem Übergriff.
Wie hoch schätzt du nach den jeweiligen Situationen deine Bereitschaft ein, dich für den Erhalt der Beziehung zu engagieren? Wie würden deine Freund*innen diese Frage für sich beantworten?
Unterschiede zwischen Menschen und Katzen
Natürlich können wir menschliches Erleben und menschliche Beziehungsführung nicht einfach 1:1 auf Katzen übertragen: Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt, ist zwischen Katzen ungleich höher. Außerdem bringen viele Katzen geringere soziale Fähigkeiten mit als die meisten Menschen, während sie wesentlich größeren Raumbedarf haben. Anders als Menschen in unserer Gesellschaft können sich Katzen ihre Lebensgefährten nicht selbst wählen. Und wenn sie entscheiden, dass sie mit einer anderen Katze nicht leben möchten/können, ist es ihnen in Wohnungshaltung nicht möglich, in ein entferntes Revier abzuwandern.
Gemeinsamkeiten gibt es allerdings beim Erleben. Säugetiergehirne ähneln sich stark hinsichtlich der Abläufe beim Auftreten von Wut, Angst, Panik und Stress. Treten diese längerfristig auf, können sie bei Katzen zu ähnlichen somatischen Folgeerkrankungen führen wie beim Menschen. Da diese Emotionen die Funktion haben, die aktuelle Situation im weitesten Sinne unbedingt aufzulösen oder zu verlassen, ist es plausibel, dass Katzen sie als ebenso unangenehm erleben wie wir.
Und schließlich ist auch am Verhalten abzulesen, dass die Lebensqualität von Katzen in anhaltenden Spannungssituationen mit Mitkatzen u. U. in Mitleidenschaft gezogen wird, ähnlich wie es das bei uns der Fall wäre: Es kommt häufig zu deutlichen Selbsteinschränkungen, es wird nicht mehr gespielt, die Körperhaltung ist verkrampft, die Katze ist einen großen Teil der Zeit wachsam und angespannt. Freude, Albernheit und Genuss treten in den Hintergrund oder sind gar nicht mehr möglich.
Problem 2: Rangordnungskonzept nicht nützlich
Und was ist mit der Rangordnung? Müssen Katzen die nicht bilden? Oder zwischendurch mal wieder klären, um anschließend glücklich und friedlich miteinander zu leben? Und sind dafür nicht auch mal Auseinandersetzungen und Kämpfe nötig?
Ob und inwieweit Katzen unter welchen Lebensumständen welche Art von Rangordnung bilden, ist meines Erachtens nach wie vor nicht befriedigend erforscht. Wir müssen bedenken, dass viele Studien an freilebenden Katzen sich auf unkastrierte Katzen und Kater beziehen, bei denen Fortpflanzung eine gewichtige Rolle spielt und Kätzinnen oft mit verwandten Kätzinnen zusammenleben. In privaten Haushalten hingegen leben oft kastrierte Kätzinnen und Kater, die nicht miteinander verwandt sind.
Außerdem müssen die Lebensbedingungen berücksichtigt werden. Ob Katzen in Freiheit leben und mehrere Hektar Lebensraum zur Verfügung haben oder auf wenigen Quadratmetern in Wohnung oder Haus eingesperrt sind, wirkt sich auf das Sozialverhalten aus – und auch auf die Optionen im Umgang miteinander, die Katzen haben.
Spannender Kurzausflug zu einer anderen Tierart: Der Versuch der Erforschung von Rangordnungen bei Wölfen in Gefangenschaft hatte lange irreführende Rückschlüsse auf ihr Sozialverhalten zur Folge. Die Beschäftigung mit Rudeln, die unter natürlichen Bedingungen frei leben, konnte später einen guten Maßstab dafür liefern, auf welche Art Wölfe „eigentlich“ ihre Beziehungen untereinander regeln: wenig überraschend verläuft das Zusammenleben eines Rudels in Freiheit deutlich anders als das eines Rudels unter den eingeschränkten Lebensbedingungen der Gefangenschaft.
Zurück zu den Katzen: Aktuellere Forschungen kommen zu dem Schluss, dass Katzen relative Hierarchien ausbilden im Sinne von: Wer zuerst kommt, dem gehört der Platz. Oder auch: der Platz gehört der Katze, die sich am meisten dafür einsetzt. Dies beinhaltet nicht, dass solche situativen Vorteile im Sinne einer relativen Rangordnung typischerweise durch aggressive Auseinandersetzungen erworben werden.
Wenn die Frage aufgeworfen wird, ob Katzen Rangordnungen ohne Einmischung des Menschen klären sollten, geschehen meist gerade aggressive Auseinandersetzungen unter Katzen. Oftmals sind die Katzen nicht gleich stark, so dass eine zunehmend Ängste entwickelt und in ihrem Lebensraum eingeschränkt wird. Das Rangordnungskonzept im Kopf der Menschen ist meist ein streng hierarchisches, ähnlich dem der gefangenen Wölfe, das der Idee folgt, rangniedrige Tiere wären mit ihrer Position glücklich, sobald die geklärt ist.
Das trifft nicht zu. Stattdessen ist davon auszugehen, dass eine solch vermeintlich „rangniedrige“ Katze unter Dauerstress lebt. Ähnliches gilt meist auch für die vermeintlich „ranghohe“ Katze, die einen großen Teil ihrer wachen Zeit mit der Überwachung oder Einhegung der unterlegenen Katze verbringt, oder zwei ähnlich starke oder ähnlich misstrauische Katzen, die im Dauerzwist leben.
Rangordnungsargumente liefern aus meiner Sicht einfach keinerlei hilfreiche Anhaltspunkte, wenn man sich Katzen wünscht, die entspannt, freundschaftlich und damit auch langfristig gesund zusammenleben.
Fazit
Aus Sicht der modernen Verhaltensberatung ist es geboten, sich in Streitigkeiten von Katzen mit konstruktiven Maßnahmen einzumischen und ihr Zusammenleben aktiv so zu gestalten, dass Frieden gefördert wird. Dies gilt für Zusammenführung, für akute Streitsituationen und auch für den Alltag.