Eine persönliche Übersicht aus Praxis und Lebenserfahrung
– Tierarzt wird im folgenden Artikel in Sinne des generischen Maskulinums für alle im Beruf Tätigen verwendet. –
Die Entscheidung für eine gute Tierarztpraxis ist nicht ganz leicht. Doch es gibt zahlreiche Kriterien, die hilfreich sein können, um die bestmögliche medizinische Versorgung für seine Katze zu finden.
Am einfachsten sind die mehr oder weniger objektiven Kriterien zu beurteilen. Sie können einen Rahmen vorgeben, sind aber nicht unbedingt die wichtigsten Eigenschaften eines guten Tierarztes.
- Entfernung von Zuhause: In der Tat erscheint es vielen Katzenhaltern am sinnvollsten, wenn der stressige Weg in die Praxis möglichst kurz ist – am besten gleich um die Ecke. Das erscheint auf den ersten Blick bequem und auch logisch. Dennoch sollte die Nähe der Praxis nur eine untergeordnete Rolle bei der Auswahl spielen. Für eine Katze ist es nämlich eher unerheblich, ob sie 15 oder 30 Minuten unterwegs ist, wenn sie schon einmal ihr Zuhause verlassen muss. Hinzu kommt, dass der Stress durch entsprechende Vorbereitung auf den Transport, eine attraktive Wohn-Transportbox und – falls erforderlich – Medikation sehr gut reduziert werden kann, so dass eine vielleicht bessere, aber weiter entfernte Praxis in die nähere Wahl kommt.
- Kosten: Auch die Behandlungskosten werden bei der Auswahl einer Praxis immer wieder als wichtiges Auswahlkriterium angesehen. Eine gute Behandlung hat ihren Preis, denn vieles, was die Qualität einer Behandlung ausmacht, muss auch irgendwie finanziert werden: Ausstattung, Fortbildung, Personal und gute Erreichbarkeit ausserhalb üblicher Praxiszeiten. Nichtsdestotrotz sollte das Preis-Leistungs-Verhältnis entsprechend erkennbar sein. Günstige Interventionen, die zu keiner Diagnose, zur Verzögerung von wichtigen Massnahmen, zu keiner vernünftigen Therapie dafür aber zu unzähligen – im Einzelnen zwar billigen – Besuchen führen, sind im wörtlichen Sinne nicht preis-wert.
- Erreichbarkeit: Natürlich ist es ein gutes Gefühl, wenn man eine Tierarztpraxis hat, die für Notfälle immer erreichbar ist. Dafür braucht es aber eine grosse Personalreserve, weil die Arbeitszeiten äusserst streng kontrolliert werden. Während vor zwei, drei Jahrzehnten ein Tierarzt für seine eigene Praxis einfach so lange geschuftet hat, wie Nachfrage bestand und seine Helferin oder Tierarztstudenten auch einmal überzeugen konnte, für eine Notoperation länger zu bleiben, so ist das heute kaum mehr der Fall – und oft sogar illegal. Heute müssen selbst Kliniken ihr Personal sehr knapp managen, weil sie der grösste Kostenfaktor sind, die hervorragenden Spezialisten nur mehr bevorzugt nach Terminen arbeiten und nicht um drei Uhr früh eine Zecke entfernen… Rund um die Uhr Erreichbarkeit ist also gut, hat aber immer ihren Preis. Zudem sind im Notdienst oft noch unerfahrene Berufsanfänger im Einsatz – im schlimmsten Fall ohne BackUp auf sich alleine gestellt.
- Ausstattung: Eine umfassende medizinische Ausstattung ist teuer und ebenso wie die ständige Erreichbarkeit ein zweischneidiges Schwert. Für eine aussagekräftige bildgebende Diagnostik mit Röntgen, Ultraschall, CT oder MRT braucht es auch entsprechend erfahrene Spezialisten, die die geschaffenen Bilder sinnvoll interpretieren können. Die Tatsache, dass ein Röntgenbild oder eine Blutuntersuchung angefertigt wurde ist nur ein Teil der Diagnose, dem die korrekte Deutung und Einordnung der Ergebnisse folgen muss. Moderne Ausstattung kostet zudem sehr viel Geld, das auch erwirtschaftet werden muss, damit sich diese Investition lohnt. Daraus könnte auch sehr leicht ein Kreislauf entstehen, indem der Bedarf für dieses Gerät durch möglichst häufigen Einsatz gerechtfertigt wird …und zwar unabhängig davon, ob es für diesen Patienten auch wirklich notwendig ist.
- Fortbildung: Die Wissensverdoppelungszeiten in der Veterinärmedizin sind beinahe so kurz wie in der IT-Branche und was gestern noch up to date und state of the art war, kann morgen schon wieder überholt sein. Ohne Fortbildung ist es nicht möglich gute Tiermedizin zu machen – die Ausbildung hört nach dem Studium nicht auf, sondern fängt erst an und hört nie wieder auf. Ständiges Lernen und regelmäßige Fortbildung, verbunden mit einer Bereitschaft zu zweifeln und sich selbst immer wieder einmal in Frage zu stellen zeichnen einen wirklich guten Tierarzt aus.
- Räumlichkeiten und Infrastruktur: Ein letztes auch einigermaßen objektives Kriterium ist die Infrastruktur einer Praxis. Das beginnt am Parkplatz direkt vor der Praxis, einem ausreichend großen Warteraum mit Raumteilern, funktionellem Behandlungsraum bis zur Möglichkeit einer stationären Aufnahme tagsüber oder Hospitalisierung. Sauberkeit sowie eine angenehme Geruchs- und Geräuschkulisse sind für die Katzenpatienten noch viel wichtiger als für ihre menschlichen Begleiter.
In einer modernen Praxis entsteht schon im ersten Moment der Eindruck, dass es vorrangig um die stress- und angstfreie, tierfreundliche Behandlung geht. Zahlreiche Labels und Zertifikate wie Fear Free Pet, Cat Friendly Practice, Service Plus für Katzen, Low Stress oder Stress Free Pets bestätigen das Bemühen des Praxisteams um eine kooperative Tiermedizin. - Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Überweisung: Die bereits erwähnte schnelle Entwicklung der Veterinärmedizin und ganz besonders der Katzenmedizin hat zur Folge, dass heute ein Tierarzt unmöglich alle Fachgebiete oder Tierarten beherrschen kann. Das romantische Modell des Dr. James Heriott mit seinem lieben Vieh, der vom Meerschweinchen über die Zuchtsau bis zum Rennpferd alle Tiere behandeln kann, ist ausgelaufen. Das bedeutet nicht, dass ein erfahrener Allroundpraktiker keine Tiermedizin beherrscht, aber Diagnose und Therapien bleiben bei den medizinischen Basics. Sobald eine Erkrankung komplexer und tierartspezifischer wird, ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Es sind Erkrankungen, die zwar den Tierarzt sehen, aber er sieht die Krankheit nicht – weil er sie nicht kennt! Für jeden Tierarzt kommt also früher oder später ein Punkt, an dem er einen Patienten zur weiteren Diagnostik oder Therapie überweisen oder mit einem Kollegen zusammenarbeiten muss. Diese Einsicht, nicht mehr alles zu wissen und zu können, zeichnet einen guten Tierarzt aus! Die Bereitschaft zum fachlichen Austausch, einen Kollegen um Hilfe zu fragen oder zu einem Spezialisten zu überweisen, verdient Vertrauen und höchste Wertschätzung! Es ist daher ein sehr gutes Zeichen, wenn ein Tierarzt sagt, das kann ich nicht, das weiß ich nicht und nicht darauf besteht, immer alles selber zu machen.
Letztendlich kann ein Katzenhalter die wirkliche Qualifikation seines Tierarztes nur schwer beurteilen – manchmal zeichnet sich diese erst nach Jahren und vielen Behandlungen ab. Das, was spektakulär aussieht ist nicht zwingend die beste Leistung; manche Höchstleistungen sind sogar ganz leise und unscheinbar, weil sie sich im Hintergrund beim Nachdenken, Zweifeln und besonderer Gründlichkeit abspielen. - Ansprechpartner und Sympathie: Nicht alles, was für die medizinische Betreuung einer Katze wichtig ist, kann auch objektiviert werden. Oft ist es der erste Eindruck von Sympathie, den wir Menschen – und natürlich auch die Katze – haben, die darüber entscheidet, ob sich eine vertrauensvolle und tragfähige Geschäftsbeziehung entwickelt. In grossen Praxen und Kliniken ergibt sich oft auch zwangsläufig, dass der Ansprechpartner immer wieder wechselt. Das bereits bestehende Vertrauen zum ersten behandelnden Tierarzt lässt sich nicht immer automatisch auf den Kollegen beim nächsten Termin übertragen. In einer gut geführten Praxis ist die Dokumentation eines Falles so, dass nachfolgende Behandlungen ohne neue Anamnese möglich sind.
- Stimmung im Team: Konflikte ergeben sich im stressigen Praxisalltag immer wieder einmal – entscheidend ist aber, wie professionell das innerhalb des Teams bleibt. Streitereien dürfen sich keinesfalls auf den Umgang mit dem Patienten auswirken – Medizin ist neben Technik immer auch zu einem gewissen Teil eine Kunst und die bedarf einer reinen Atmosphäre.
- Erfahrung: Nicht zuletzt noch ein anderer weicher Faktor wie Erfahrung. Die kommt mit den Jahren – aber nicht ganz automatisch ohne Bemühen. Große Erfahrung hilft dem Patienten, weil es viele frühere Fälle zum Vergleichen gibt. Sie kann aber auch manchmal ein Schaden sein, wenn sie zu Nachlässigkeit, Starrheit oder sogar Überheblichkeit führt. Als Tierarzt kann man gar nicht so lange in der Praxis stehen, dass man nicht immer noch etwas Neues sieht und lernt: Es gibt immer noch etwas, was man noch nie gesehen hat. Tierärztliche Erfahrung hat Phasen: am Anfang fühlt sich ein junger Tierarzt zu Recht unsicher, dann zu Unrecht sicher bis er sich endlich zu Recht sicher fühlen darf und schließlich eine Phase unsicher zu Unrecht kommt.
- Flexibilität: Die wirtschaftlichen Veränderungen fordern auch von Tierärzten eine gewisse Flexibilität oder auch Pragmatismus. Beides kann mit der Erfahrung kommen – es muss nicht immer alles gemacht werden, bloss weil es machbar ist. Natürlich ist das eine gewisse Form der Zweiklassenmedizin, aber wenn nun einmal die Finanzen für die modernste state of the art Medizin nicht vorhanden sind, dann gilt es flexibel zu sein. Es gab Zeiten und gibt nach wie vor entlegene Gegenden, in denen auch ohne Röntgen, ohne Plattenosteosynthese und ohne ultraschallkontrollierte Leberbiopsie Tiere behandelt werden. Vielleicht nicht mit denselben Exklusivergebnissen einer modernen Tierklinik, aber dennoch anständig. Die Bereitschaft zu dieser flexiblen Anpassung vom hohen Ross der Topmedizin abzusteigen, zu beraten und auch mit etwas weniger Aufwand die noch leistbare bestmögliche Medizin zu machen ist in heutigen Zeiten durchaus ein Qualitätskriterium für einen Tierarzt.
- Einbindung der Halter: In den letzten drei Jahren hat sich in manchen Praxen eine Art drive in Behandlung unter Ausschluss des Halters etabliert. Tiere sollten einfach nur abgegeben und dem Praxisteam alleine überlassen werden. Am Ende der Behandlung wird bezahlt und die Katze zurückgegeben. Nicht nur, dass auf diese Weise zahlreiche Informationen untergehen, weil die Anamnese zwischen Tür und Angel oder auf Papier erledigt wurde, fehlt der Katze ohne Bezugsperson auch ihre emotionale Sicherheit. Diese durch nichts gerechtfertigte Art der Behandlung kann auch dann traumatisierend wirken, wenn alles wunderbar geklappt hat.
Aus all dem ergibt sich, dass es heute die eine perfekte Praxis kaum gibt. Und es ist durchaus sinnvoll, sich seine Haustierarztpraxis für die alltägliche Routineversorgung zu suchen. Aber darüber hinaus braucht man eben auch in Zusammenarbeit mit seinem Haustierarzt fallweise einen Spezialisten für eine Augenuntersuchung, einen Herzultraschall, eine Zahnbehandlung oder eine Klinik für einen akuten Notfall an der Hand.
Kompromisse bei der Tierarztwahl sind also fast immer notwendig:
Eine hervorragend ausgestattete Praxis oder Klinik mit ständiger Erreichbarkeit ist selten – und zunehmend seltener – um die Ecke und auch alles andere als billig.
Einen sympathischen und vertrauten Ansprechpartner, der die Katze gut kennt, kann man nicht rund um die Uhr das ganze Jahr über haben, weil ein solcher Tierarzt seine Erholungs- und Fortbildungszeiten braucht, wo er dann nicht erreichbar ist.
Einen spezialisierten Fachtierarzt hat man nur selten gleich um die Ecke oder ohne Wartezeit zum sofortigen Wunschtermin und der ist auch nicht billig.
Ein Tierarzt, der sich mit vielem ein bisschen auskennt, wird für komplexere Fälle überweisen müssen.
Ein Tierarzt, der sich viel Zeit für seine Patienten nimmt, wird nicht immer für alle Patienten Zeit haben.